Texte

Reinhard Schulz - Unterwegs Musik erfahren SZ 30.11.1998

Der bei Leipzig lebende Komponist/Erfinder Erwin Stache meint den Schall. Und dem nähert er sich seit fast zwanzig Jahren bastelnd. Es ist ein DDR- Phänomen: Aus dem Radio hörte man zeitgenössische elektronische Klänge, und da es die Apparaturen dafür im Osten kaum gab, sammelte man Gegenstände vom Sperrmüll oder aus alten Betrieben.
...
Mit ihnen, kühn erfinderisch verflochten, suchte man das westliche High-Technology-Klangdesign nachzustellen. Das gelang bestenfalls annähernd, aber eine neue Erfahrung stellte sich ein: Die Klänge aus diesem Retortenwerk lebten - im Gegensatz zu ihren westlichen Vorbildern. So werkelte Stache unermüdlich weiter: baute Schächtelchen, die beim Öffnen wie vor Schmerz quietschen oder auch wichtigtuerisch eine Nachricht von sich geben, im Chor singende Briefmarkenalben, quäkende Schalthebel, ein Gestängewerk, das in sturer Beharrlichkeit ein, zwei Töne auf dem Klavier anschlägt, V-förmig aufgestellte Zithern, auf die von Förderbändern transportierte Kügelchen fallen, einen mannshohen, samtig schwarz verhangenen Kasten, der in gutturalem Opernton zu Arien anhebt. Oder er benutzte einfach Herumliegendes, um es durch elektronische Klangabnahme in seine klangliche Alchimistenstube zu integrieren: Nürnberger Scheren, Grillroste, ein Tischfußballspiel mit an Federn befestigten Männchen, die sich fast wie ein afrikanisches Daumenklavier bedienen lassen. Dazwischen menschelt Stache. Im Typus eines gedankenverlorenen Erfindergenies durchsucht er sein installiertes Labor, öffnet hier einen Klang, schrickt dort vor einem aufmurrenden Gegenstand zurück, findet sich am Klavier zu einer anarchischen Improvisation ein. Und auf einmal wächst eine wunderbar stimmige musiktheatrale Aktion heraus. Die Gegenstände scheinen ihren Zaubermeister zu lieben wie eine im Warmen geborgene Schar von Haustieren. Ein gemeinsames Konzept entsteht, Stacheophonie. Sichtlich hatte das Publikum im Marstall daran größtes Vergnügen. Nicht nur, weil die absurden, manchmal störrisch penetranten Klänge unmittelbar Heiterkeit evozieren. Gespürt wurde eine ganz unmittelbare Kraft der Kreativität. Sie steckte voller Hintersinn, ohne anzugeben, worin dieser liege (Mensch-Maschine? Das Arme und das Reiche? Ratio und Wunder? Das Zeug Heideggers?). In diesem Geheimnis aber lagen schon immer wesentlich Größe und Gelingen künstlerischer Arbeit verborgen.


Radjo Monk - aus Katalogtext: "Topos – inszenierte Raumerfahrung"

Erwin Stache unterstellt seinen Klangobjekten keine philosophischen Fragen und wattiert sie nicht mit Theorien, dergleichen scheint er den Assoziationen des Betrachters überlassen zu wollen.

Radjo Monk - From catalog text: "Topos – staged spatial experience"

Erwin Stache does not impose any philosophical questions upon his "sound objects", nor does he encase them in theories - he appears to want to leave the observer to draw his own conclusions about that sort of thing.
...
Daß der Betrachter Materialien wiedererkennen mag, die er schon einmal in einem Baumarkt gesehen hat, oder Teile aus Geräten, die er selbst schon vor Jahren aus seinem Haushalt ausrangierte, ist ein nicht unwesentlicher Nebeneffekt, der eine sonderbare Intimität zwischen Objekt und Betrachter entstehen lassen kann. Vielleicht kann man Erwin Stache einen Abenteurer im Dreieck von Physik-Musik-Elektroakustik nennen. Unter den Forschern ein Komödiant, unter den Komödianten ein Forscher ... Sein Sinn für das Paradoxe findet seinen Niederschlag in den Erfindungen und in der Art, wie er sie zueinander in ein Verhältnis setzt, das heißt komponiert. Obwohl Erwin Stache selbst weder Anleihen gemacht noch Bezüge innerhalb der Moderne gesucht hat, wirken manche Objekte wie Variationen der berüchtigten "Hochzeit von Regenschirm und Nähmaschine" vor dem surreal Traualtar. Staches originäres Selbstverständnis schließt Epigonentum aus. Die Originalität seiner Arbeiten ist eine Folge seiner Fähigkeit, komplizierte Dinge und Zusammenhänge zu durchschauen, indem er sie in einen von ihm gestalteten Sinnkomplex stellt, der das lähmende ES IST zu einem aktivierenden ES KANN SEIN werden läßt. Wenn sich drei Zeiger in einem Rahmen aus einfachen Holzleisten mal in Uhrzeigerrichtung, mal gegen ihn drehen, dabei einander ins Gehege kommen und plötzlich stoppen, kann sich dahinter auch eine Einladung zum Gedankenspiel verbergen. Vielleicht repräsentieren die drei Zeiger den dreidimensionalen Wahrnehmungsraum, die ehernen Gesetze der Geometrie? Die vierte Dimension, die Zeit, deren Verlauf wir für gewöhnlich als linear empfinden, darf sich in diesem Werk Erwin Staches einmal auf jede Dimension einzeln auswirken und Verwirrung stiften. Möglicherweise aber symbolisieren die drei Zeiger auch Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft in rätselhafter Synchronität, wer weiß. Vielleicht ist das UHRBILD eher ein URBILD des menschlichen Hanges zur Generalisierung seiner Erfahrungen, seiner Perspektive auf die Dinge. Oder das monoton über schwarzen Bildgrund laufende Endlosband, welches sich über Umlenkrollen dreht und einmal weiß, einmal schwarz ist, so daß fortwährend konstruktivistisch wirkende Schwarz-Weiß-Figuren in langsam sich verschiebenden metrischen Mustern zu sehen sind ... reibt sich da nicht ein Gaukler hinterm Rücken des Königs Vernunft die Hände vor Vergnügen? Es ist eine martialische Provokation, wenn Erwin Stache inmitten einer Welt der Fernbedienungen hinweist auf das Hinfällige, indem er beispielsweise keine Gehäuse um seine Mechaniken baut und den Betrachter somit die Wirkungsweise seiner Erfindungen nicht verheimlicht. Man mag darin eine Persiflage auf das Maschinenzeitalter erkennen, das noch immer als Grundlage des technologischen Industriezeitalters gelten kann, oder auch verblüffend bizarre Produkte einer ebenso kindlichen wie anarchischen Phantasie, möglicherweise auch Materialisationen des Wunsches eines einsamen Pianisten nach musikalischen Begleitern, mit denen er in Eigenregie die Klaviatur von Sinn bis Unsinn spielen kann. Die Ästhetik des scheinbar funktionslos Funktionierenden erschließt sich um so nachdrücklicher, wenn man in seinen Installationen dem Angebot des Künstlers nachkommt und die Klangkörper selbst bedient. So dringt man als Betrachter nicht nur auf direktem Wege ein in die Geheimnisse einer physikalischen Rumpelkammer, sondern wird auch des Charmes teilhaftig, den Erwin Staches Ideen haben.
The fact that the observer may recognise materials that he once saw at a building supply store, or parts of appliances long since discarded from his household, is not a insignificant effect which can cause a special sort of intimacy to emerge between the observer and the object. Perhaps one can call Erwin Stache an adventurer in the triangle of physics, music and electro-acoustics. A scientist among entertainers and an entertainer among scientists... His sense of paradox finds expression through his inventions and through the manner in which he places them in relation to one another, that is to say in which he composes.
Although Erwin Stache has neither borrowed anything, nor has he made any acquisitions from within the modern, some pieces have an effect similiar to variations on the infamous "Marriage of an Umbrella and a Sewing Machine" before the surreal marriage-altar. The original way in which Stache sees himself excludes epigonism. The originality of his works is a result of his ability to comprehend complicated things and relationships, in which he puts them into a selfmade sensory complex which allows the paralyzing i t i s to become an activating i t c a n b e . Behind the three hands within a simple wooden frame, turning at times clockwise, at times anti-clockwise, thus encroaching upon one another and suddenly coming to a halt, there could lie a concealed invitation to play mind games. Perhaps the three hands represent the three-dimensional perception of space, the iron laws of geometry. The fourth dimension, time, whose passing we usually perceive as linear is allowed for once in this work of Erwin Stache's to affect every individual dimension and cause confusion. Possibly, however, the three hands also symbolize past, present and future in puzzling synchronism, who knows. Perhaps the clock picture (Uhrbild) is more a prototype (Urbild) of the human tendency to generalize his experiences, his perspective on things. Or the endless conveyor-belt, running monotonously across a black base, which turns on rollers and is alternately black then white so that apparently constructivistic black-and-white figures can continuously be seen in slowly shifting metric patterns... is not some jester standing behind King reason's back rubbing his hands in glee ? It is a martial provocation when Erwin Stache points to that which is frail admidst a world of remote-control, in which, for example, he does not build a casing around his mechanics and thus exposes the works of his inventions to the observer. One may recognise therein a satire on the machine age which can still be valid as a foundation for the technological industrial age, or also the bafflingly bizzare products of a childlike and equally anarchic fantasy.
lt is possibly also the materialization of the wish of a lonely pianist for the musical accompanists with whom he can play the keyboard from sense to nonsense under his own direction. The aesthetics of the apparently functionless reveal themselves even more emphatically when we take up the artist's offer and operate the "sound objects" ourselves with the use of a foot-pedal. In this way the observer not only directly enters into the secrets of a physical junk-room, but also partakes of a charm which Erwin Stache's ideas possess.


Steffen Schleiermacher - Laudatio zum “Gellert”- Kuntspreis, Delitzsch 2001

Die Bühne ist dunkel. Geheimnisvolle große schwarze Kästen rollen über die Bühne - wie von Zauberhand bewegt. Sie singen mit Carusos Stimme. Ein einsamer hölzerner Finger hackt unermüdlich und doch vergeblich auf immer die gleiche Taste am Klavier. Im Hintergrund spuckt ein seltsamer "Kugelfahrstuhl" unermüdlich Murmeln auf eine Zither, hüpfend und springend über die Saiten erreichen diese eine Rinne, die sie aber nur wieder zum "Kugelfahrstuhl" führt.
...
Merkwürdige Gebilde hängen von der Decke herab, ein Hammer fällt - scheinbar auf geheimnisvolle Weise gesteuert - immer wieder auf eine einsame Klaviersaite herab, eine Säge und eine Bohrmaschine singen hie und da ihr Lied. Und auf einer langen Tafel ist gedeckt für eine Gesellschaft, die doch einen seltsamen Appetit zu haben scheint. Appetit auf Klänge? Nein - dies ist nicht das Szenario für einen Lehrfilm übers Gruseln. Wir befinden uns in einer Vorstellung des Klangkünstlers Erwin Stache. Im Musikabsurritorium. Und jetzt sehen wir ihn auch, umringt von Hebeln und Schaltern, selbstgebauter Elektronik, die ihre Herkunft aus ausrangierten Waschmaschinen und Kassettenrekordern nicht verhehlt. Rasant spielt Stache Klavier, hat aber immer noch ein drittes Auge und eine dritte Hand übrig für die Geräte, Maschinen, Apparate und Schalter - und für die vierte Hand ist da schließlich noch das Tonband mit der Kurbel. Man sieht die Geräte ächzen, man hört sie schwitzen. Ein fürchterliches Alien aus dem Universum entpuppt sich als genial beleuchtete und präparierte Heuwendemaschine umfunktioniert zum gigantischen Musikinstrument. Kein Gehäuse verbirgt das Innere, keine philosophische Theorie das Äußere ... Und bei Stache wird nichts weggeworfen, da gibt es nichts, was wertlos ist. Nicht: Alles singt! Sondern: Alles klingt! Geräte werden abgehorcht, belauscht, wie sie klingen, Stache entdeckt Klänge und Geräusche(wo ist da eigentlich die Grenze?), die weder die Geräte selbst noch gar ihre Konstrukteure kannten. Der verdrängte Klang? Der nebensächliche Klang? Der überflüssige Klang?? Alles wird zum Instrument im Stach'schen Orchester. Abgehorcht werden aber auch die Musik und die Sprache. Auch hier nichts, was nicht noch - obwohl oder vielleicht auch, weil es so abgegriffen ist - im Klangkosmos Verwendung fände. Das In- Beziehung- Setzen von Dingen, die auf den ersten Blick zu unterschiedlichen ästhetischen Dimensionen gehören und deren unmittelbarer Kontakt nur ein künstlicher sein kann - so definierte einst Max Ernst den Surrealismus. Ist Stache ein Klangsurrealist? Oder eher ein Klangrealist?
Erwin Stache, geboren 1960 in Schlema, Studium von Mathematik, Physik und Pädagogik. Musikausbildung in Leipzig. Seit 1983 freischaffender Musiker und Gerätebauer. Viele Jahre gemeinsame Projekte mit dem Schauspieler Wolfgang Krause Zwieback. Zusammenarbeit mit Henry Schneider bei den alljährlichen Stelzenfestspielen. Konzerte, Installationen und Aufführungen in Salzwedel, New York, Rheinsberg, München, Rüdersdorf, Graz, Nürnberg, Bern, Beucha, Leipzig, Frankfurt. Ein wenig lugt Staches Schalk in der Aufzählung seiner Aktivitäten hervor. Salzwedel und New York. Beides erscheint ihm gleich wichtig - genauso gleichwertig wie Computer oder Steuerscheibe aus der Waschmaschine. Nichts von Hierarchie. Eher eine Demokratie der Dinge, der Orte und der Klänge. Maschinen zum Selbstbedienen, "Spiel"-sachen im wahrsten Sinne, Einladungen zum Mitgestalten. Auch hier keine Hierarchie. Ein Kreativer auf der Bühne, viele Kreative im Publikum. Ob das dann immer gleich Kunst wird, bleibt nebensächlich. Kinder finden den spielerischen Zugang schnell, Erwachsene suchen immer erst die mögliche Botschaft: Durch Nacht zum Licht? Vorbilder? Sicher, nämlich all jene, die Ideen haben (und diese auch umsetzen wollen, umsetzen können)
Sicher, nämlich alle die, die nicht vorher schon wissen wollen, wissen müssen, was entstehen kann. Die, die neu-gierig sind.
Sicher, nämlich alle die, die nicht ständig nach Vorbildern fragen, nach fahrenden Zügen, auf die sie vielleicht aufspringen könnten. Und natürlich alle die, die sich konsequent zwischen die Stühle setzen. Denn wo Stache auftritt, ist die Irritation groß, vor allem beim selbsternannten akademischen Fachpublikum.

Ist denn das Musik?
Ist denn das Theater?
Ist denn das Kabarett?
Ist denn das bildende Kunst?
Darf eigentlich gelacht werden?
Und was soll das alles bedeuten?

Ja, es darf gelacht werden. Vor allem, wenn sich zusätzlich auch noch Hintergründiges erschließt. Und über die Bedeutung wird man sich vielleicht erst viel später klar. Denn Staches Bildfolgen und Klänge verlassen einen so schnell nicht, geben in ihrer Vieldeutigkeit jeder Assoziation freien Spielraum. Und darauf kommt es schließlich an.


Wolfgang Schilling - Radiobeitrag 2012

Warum klingt es am Rhein so schön?
Der Beuchaer Erwin Stache war fast ein Jahr lang Stadtklangkünstler in Bonn
Der Name Erwin Stache hat einen guten Klang. In der Welt der Klangkunst. Als der Deutsche Musikrat unter dem Motto „Klangkunst - a german sound“ eine internationale Wanderausstellung konzipierte, wurde der Mann aus Beucha wie selbstverständlich ins zehnköpfige National (Klang) Team berufen.
...
Nun touren seine kleinen, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Klangkästen als deutsche Klangbotschafter durch die Welt. Öffnet der neugierige Besucher in Lodz oder Rom eins von ihnen, initiiert er ein kleines Klangerlebnis. Der Betrachter ist Akteur und Auslöser zugleich. Ein Prinzip das in Hongkong genauso funktioniert, wie derzeit in Salzburg. Einmal in die Welt gesetzt, arbeiten Staches Apparate und Skulpturen auch ohne weiteres Zutun des Erfinders. Der setzt auch bei den kuriosesten Installationen, wie dem Waschmaschinenprogrammscheibenorchester, auf ein nachhaltiges Klangerlebnis. Meine Hand für mein Produkt, nannte man das zu anderen Zeiten. Aus deren materiellen Hinterlassenschaften Stache seine elektro-akustischen Apparaturen und Klangmechanismen entwickelt. „Es ist nicht nur der Klang, der mich an Alltagsgegenständen, Fundstücken oder Industrieabfällen interessiert, sondern auch deren Form, Struktur und Geschichte. Sie sind unterschiedliche Ausgangspunkte für das Konstruieren einer Klangskulptur oder eines neuen Instrumentes. Etwa bei Workshops, die er inzwischen weltweit mit Erfolg ausrichtet. Ob auf Einladung des Goethe-Instituts an Schulen in Ghana, mit Studenten in Taipeh oder demnächst wieder in Norwegen. Wo er auf Einladung von Ultima, des größten Festivals für zeitgenössische Musik im Norden Europas, auch schon der renommierten Osloer Oper mit einer Installation buchstäblich aufs Dach gestiegen ist. So weit, so hoch hinaus und international erfolgreich. Doch auch im eignen Land gilt er inzwischen, vielleicht nicht als Prophet, aber als erste Besetzung, wenn es darum geht, für Klangkunst mit Nachhall zu sorgen. So engagierte ihn Sir Simon Rattle für sein Education Projekt an die Berliner Philharmonie. Nach einem nicht immer leichtem Probenprozess an einer Neuköllner Problemschule nahmen seine Eleven nach ihrem Konzert mit präparierten Alltagsgegenständen nicht nur den enthusiastischen Beifall des Publikums mit Migrationshintergrund, sondern auch den des begeisterten deutschen Bildungsbürgertums entgegen. Ein irrer Soundtrack zur hauptstädtischen Integrationsdebatte. Dem Stache noch ein Finale in der alten Bundeshauptstadt am Rhein folgen ließ. Wo für ihn jetzt ein neunmonatiges Gastspiel als Bonner Stadtklangkünstler zu Ende geht. Im Auftrag der Beethovenstiftung war er aufgefordert, sich musikalisch ins öffentliche Leben der Stadt einzumischen. Unter dem Motto „Bonn hören“ sollte er mit verschiedenen Klangkunstprojekten einen engen Bezug zur Stadt, ihren Bürgern und Besuchern und deren Alltagsleben herstellen. Stache zog dabei alle Register und mit seiner Installation „87,3 Kilo Ohm“ quer durch die Stadt. Egal ob am Rheinufer, auf der Museumsmeile oder in der multikulturell bewohnten Nordvorstadt, die interaktive Klanginstallation wurde angenommen. Berührt man die Metallstangen mit den Händen, stellt eine körperliche Verbindung zwischen ihnen her, beginnt ein geringer Strom zu fließen. Durch den unterschiedlichen Hautwiderstand oder die Feuchtigkeit der Hände entstehen dabei Klänge, Töne und Geräusche, die sich durch jede weitere Berührung hörbar in Tonhöhe und Klangfarbe verändern. Ein spielerischer Effekt der nicht nur Kinder anzieht, sondern Probanden jeden Alters wieder zu solchen werden lässt. Viel Spaß verbreitete Stache auch mit seinem Kuckucksuhren-Orchester, das sich im Rahmen des Beethovenfestes an der Mondscheinsonate probierte. Auch wenn viele seiner Installationen von Humor getragen werden, als musikalische Clownerien sollte man sie nicht abbuchen. Als Abschluss seiner Stadtklangkünstlerzeit schenkt er der Stadt nun die Installation „Du gehst – 5,3 Kilo Meter pro Stunde“. In einer Fußgängerzone hängt eins der Warnschilder, die normalerweise Autofahrern anzeigen, wie viel zu schnell sie meist fahren. Nun erfährt der Passant in der Bonner Friedrichstrasse, wie langsam er eigentlich unterwegs ist. Gleichzeitig löst er mit seinem Rhythmus eine virtuelle Schrittfolge aus, die ihn über Lautsprecher verstärkt ein Stück des Wegs begleitet. Bleibt er stehen, eilen die Schritte weiter. Kreuzen sich vielleicht mit denen eines Entgegenkommenden. „Die akustische Schrittverfremdung lässt neue Klangspiele zu, kleine Melodien, minimalistische Rhythmen. Auch hier kann der Passant bewusst eingreifen, Schrittmelodien gestalten und mit anderen zusammen eine eigene Musik kreieren.“, lässt Stache wissen. Die letzten Tests vor der Einweihung am 21. Januar um 16 Uhr „verliefen“ zur vollsten Zufriedenheit des scheidenden Bonner Stadtklangkünstlers.


Erwin Stache - Sehen - Hören - Fühlen

Es gibt in meinen Arbeiten sehr unterschiedliche Ansatzpunkte für die Realisierung einer neuen Installation oder eines neuen Instrumentes. Dazu gehören neben den thematischen Konzepten vor allem auch das Untersuchen von Materialien, die Nutzung ausrangierter Industriemaschinen und Beschäftigung mit deren Geschichte, das Verfremden herkömmlicher Gebrauchsgegenstände und nicht zuletzt auch der Ausstellungsraum.
...

Objekte, wie Luftpumpen, Steuerhebel, Absperrhähne, Telefone oder Räder vermitteln eine vertraute Atmosphäre, die zum Experimentieren einlädt. Ich konstruiere eigenständige Geräte, die Bewegungs- und Klangabläufe steuern. Einfache haptische Tätigkeiten werden in musikalisch gestaltete Konzepte umgesetzt.
Musik machen ist fast immer gekoppelt mit gestischen Bewegungen. Ein Konzertbesuch ist für mich nicht nur hören, sondern auch sehen, spüren usw.. Die für die Musik notwendigen Handlungen der Akteure verändern das akustische Geschehen. Schließt man die Augen, hat man ein völlig anderen Eindruck. CD-, MP3-Player und der Lautsprecher als Universalklangobjekt für alle möglichen Töne und Geräusche geben uns die Möglichkeit, "nur" zu hören, auch wenn es eine Verfremdung der akustischen Situation im Konzertraum ist.
Ich sehe ein Konzert aber nie als nur ein Konzert. Es ist immer auch eine multimediale Veranstaltung. Mich interessieren die "Arbeitsgesten" der Musiker. Ich schreibe Musik zum Erleben, konstruiere Instrumente, die "augenscheinliche" Techniken verlangen, suche nach Aktionen und Arbeitsabläufen, die musikalisch sind. Dabei gehe ich nicht immer von einer szenischen Gestaltung aus, wie es oft im Musiktheater gemacht wird, sondern baue Instrumente, präpariere Sportgeräte und Alltagsgegenstände so, dass die Handlungen für die Klänge zwingend notwendig werden, so wie eben auch ein Posaunist den Zug seines Instrumentes bewegen muss, um entsprechende Tonhöhen zu ändern, ohne ein Show zu inszenieren. So sehe ich Parallelen zu anderen Arbeiten, meistens handwerklicher Art und beobachte die automatischen Abläufe und ungewollten Gesten, die Voraussetzung sind, um ein Material zu bearbeiten, um etwas herzustellen. Aufgrund dieser optischen Präsenz der Arbeit, schreibe ich Stücke, die diese Bewegungen koordinieren (z.B. Stück für 14 nähende Leute, die nebenbei die Chinesische Aussprache lernen). Niemand muss schauspielern. Die ungespielte Konzentration überträgt sich auf faszinierende Art und Weise aufs Publikum (Lächelnde Musikanten bei der Arbeit konnte ich noch nie leiden, lachendes Publikum schon).
Die Reihenfolge der Aktionen muss nicht unbedingt einem logischen "Arbeitsprozess" folgen.
Manchmal bestimmen Gestik und Situation die musikalischen Aktionen. Die Beschreibung einer Bewegungen, eines Zustandes, einer Handlungen als Vorgabe, führt zum Klang.
Die Heiterkeit, die sich ab und zu einstellt, ist durchaus berechtigt und schafft interessante Überraschungsmomente. Das Verfremden der von uns gewohnten Abläufe und das Nutzen von Dingen entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung gehört zum Prinzip und ist manchmal selbst schon zur Gewohnheit geworden.
Wenn ein Witz gut ist, werden unsere vorgefertigten Denkmuster aus der Bahn geschmissen und wir wehren uns dagegen, indem wir lachen. Dieses plötzliche Abbiegen der Gedankengänge überrascht uns und eröffnet einen neuen Weg, der eine Faszination auslöst, weil wir ihn von selbst so nicht gegangen wären. Es verändert unseren ursprünglichen Plan und lässt versteckte Improvisationsfähigkeiten entdecken. Der Witz ist die Vorstufe zum Humor, einer schwer zu erlernenden Technik, die Spontanität und das Reagieren im Augenblick des Geschehens verlangt. Er eröffnet neue Wege und Betrachtungsweisen und steigert die Wachsamkeit für alles Ungewöhnliche.
Wenn wir einen Raum schaffen, indem alles auf ungewohnte Weise, sozusagen funktionslos funktioniert, kann das Publikum selbst in Aktion treten, indem es die gewohnten Gegenstände benutzt und auf Überraschungen gefasst sein muss. Dann wird der Betrachter, vielleicht auch ohne es selbst zu bemerken, zum Mittelpunkt der Handlung.
Erwin Stache 2010


Kurzer Text für eine Soloperformance

Im Alter von 16 Jahren habe ich unter der schwierigen Materialbeschaffungssituation in der DDR mein erstes elektronisches polyphones Instrument gebaut. Die musikalische Ausbildung bestand im jahrelangen Klavierspiel und dem zeitweisen Traktieren der Kirchenorgel. Dazu kommt die Freude am Programmieren, das Entwickeln von elektronischen Schaltungen und die blühende, manchmal auch kindliche Fantasie, die sich bis jetzt hatte nicht vertreiben lassen.
...
Der Gebrauch von Objekten entgegen ihres ursprünglich zugedachten Herstellungszweckes schafft einen speziellen Humor. Dazu gehört die Umwandlung der Bewegungen der Gegenstände in Töne und Geräusche. Sensoren messen Drehungen, Winkel und Beschleunigung, die dann mittels Mikrorechner und Klangmodulen hörbar gemacht werden. Tischbeine werden zu Stromsensoren, schwingende Stäbe zu Klangwurfgeräten und Holzgarderoben zu Basstönern. Das Erlebnis besteht vor allem in der Kombination zwischen Auge und Ohr, zwischen den Bewegungen, Gesten und Aktionen und den daraus resultierenden musikalischen Ergebnissen, die ab und zu mit feinem Humor durchsetzt sind.
Immer aber bleibt der musikalische Umgang mit den Objekten, die aufgrund ihrer teils gewollt tonalen Unschärfen eine spezielle Spielweise erfordern und dadurch zu neuen interessanten Klangergebnissen und Bewegungsabläufen führen.
So wird die Videoprojektion einer ausgebesserten Straße zur Partitur. Die Gesten des Klavierspielers erzeugen Klänge und kämpfende Hände führen ein eigenwilliges Ballett auf den Klaviertasten aus, welches live projiziert wird.
Meine Performance umfasst eigenwillige Klavierverfremdungen und das Spiel auf Selbstbauinstrumenten.


Strafzettel für Klänge - Zeitschrift Positionen. Auto-Elektromobile. 2013

Elektrofahrzeuge und Sounddesigner
Das Klangbild einer Stadt wird zum großen Teil durch Fahrzeuggeräusche wie das von Autos, Straßenbahnen und Bussen bestimmt. Auch wenn der Fahrzeuglärm durchaus sehr abwechslungsreich und differenziert sein kann, beispielsweise an Kreuzungen, wird er natürlich als Belästigung empfunden.
...
Das Aufkommen von Elektrofahrzeugen könnte den Lärm mindern. Deren fast lautloses Fortbewegen aber, welches eigentlich ein Riesenpluspunkt darstellt, ist für Gesetzgeber und Unfallforscher bedenklich. Der Fußgänger kennt das Problem mit Fahrradfahrern, die sich von hinten nähern. Eine plötzliche Richtungsänderung oder gar spontanes Stehenbleiben des Passanten kann durchaus zu Karambolagen führen. Der Fahrradfahrer wiederum wünschte sich manchmal ein Fahrgeräusch, um dem Fußgänger auf sanfte und höfliche Art und Weise, und nicht mit schnödem Geklingel, mitzuteilen, dass er gewisse, in vielen Städten auch erlaubte, Rechte hat, sich im Fußgängerbereich zu bewegen. Die Europäische Union will aus Sicherheitsgründen keine lautlosen Autos zulassen. Sogenannte Flüstermobile sollen synthetische Klänge und Geräusche abspielen, vor allem im unteren Geschwindigkeitsbereich, denn oberhalb von 30km/h reichen die Abrollgeräusche der Reifen völlig aus, um den Passanten zu warnen. Auch bei Elektrofahrrädern wird es dazu kommen, dass ein eingebauter Lautsprecher Klänge von sich gibt. Einige Fahrzeugtypen wie Toyota Prius, Opel Ampera, Nissan Leaf oder Audi Etron gibt es jetzt bereits, die mit einem 50Watt-Verstärker und Lautsprecher an Bord ausgestattet sind. Die Fahrzeughersteller lassen Klangkünstler, Musiker und Sounddesigner basteln und schreiben Wettbewerbe aus. Mit Fußpedal, Interface und Computer wird getüftelt. Das Auto gibt im Stand, im Rückwärtsfahren und Einparken unterschiedliche Töne ab, kommentiert mit Akkorden das Blinken oder Warten am Zebrastreifen. Beim Anfahren gibt's dann das typische Surren und Brummen, welches den Motorklang simulieren soll. Es sind durchaus interessante Einfälle zu verzeichnen. Über Bienensummen, Meeresrauschen, Klappern, Stimmengewirr und Klopfen bis hin zu wirklich komplexen Tonmodulationen wird alles versucht, um einen Kompromiss zwischen angenehmen, nicht störendem Klang und dem geforderten Warnsignal zu finden. Natürlich muss auch an das emotionale Feedback für den Fahrer gedacht werden. So geben Lautsprecher auch im Innenraum des Fahrzeuges antreibende Motorengeräusche ab.
Nun ist das Manipulieren an Geräuschen im Fahrzeug nicht neu. Mit teils bizarren Mitteln wurde auch jetzt schon der Klang eines Fahrzeugs verändert. Man wollte ein Geräusch angenehmer, attraktiver, interessanter, »stylischer« machen. Fast immer aber musste man mit dem vorhandenen, technisch bedingten Geräusch umgehen.

Vision:
Der Sounddesigner für Elektrofahrzeuge hat nun aber mit Rechner und Lautsprecheranlage eine viel flexiblere Möglichkeit, die Klänge auf den Straßen zu beeinflussen. Er kann – ähnlich wie ein Maler eines Bildes – mit einer leeren Leinwand beginnend, von einer Stille ausgehend, ganz eigene Klangkompositionen entwickeln.
Nun ergibt sich die faszinierende Vision, die vom Hersteller des Fahrzeugs vorgeschlagenen Klänge einfach auszutauschen und eigene, neue hinzuzufügen. Dann würde man sich wundern, wenn zum Beispiel am Montag früh an der Kreuzung düstere Geräusche zu hören sind, weil die Leute zur Arbeit müssen und ihre Autos mürrisch klingen lassen. Am Freitagabend hingegen wird bei der Fahrt in den Club mit der neusten CD schon »vorgeglüht«. Die dafür notwendige Außenanlage ist ja im Auto bereits integriert. Sensiblere Musikliebhaber würden vielleicht ihr Fahrzeug mit Geigenklängen oder Adagioklaviersätzen von Mozart versehen. An den Straßenkreuzungen könnten ganze Sinfonien erklingen, wenn sich in Flashmobmanier hunderte mit ihren E-Mobilen treffen und sich vorher aus dem Netz ihre entsprechenden Klänge und Musik in ihr Fahrzeug geladen haben. Dann heißt es vielleicht, heute Abend um sieben mit Schweizer Kuhglockenklang in der Augustinerstraße Ecke Hohlbeinallee. Oder man veredelt den Stadtklang eine ganze Woche lang mit schweren LanzBulldockTraktorschlägen. Am Sonntag kann man dann mit friedlichem Vogelgezwitscher in die angrenzenden Seenlandschaften fliehen. Hier gibt es ein große Möglichkeit, den Klang einer Stadt komplett zu verändern. Während zu arge Manipulationen sicher vom Ordnungshüter mit Strafzetteln für den unerlaubten Klang geahndet werden, müsste die Verkehrspolizei bei bedachteren, nicht so störenden Veränderungen schon klanglich ziemlich geschult werden.
Den Schalldämpfer umbauen ist das eine, aber durch die elektro-akustische serienmäßige Ausstattung von Elektrofahrzeugen, könnten viel komplexere Veränderungen geschaffen werden. Per WLAN oder Internetzugang im Fahrzeug wären auch sofortige Klangwechsel sowie die Wiederherstellung des werksseitigen Geräusches möglich. Eine Eigenkreation wäre spontan spielbar. Mit einem Tastenfeld könnte man zum Beispiel einen Audi wie einen BMW klingen lassen. Sollte es dann Strafzettel geben, weil ein Auto einer bestimmten Marke nicht wie es selbst klingt, sondern wie eine andere Marke?
Wie ist es überhaupt mit dem Schützen von Klängen? Welche Parameter fließen da ein? Wird dann im Nachhinein der Klang einer Flöte oder Violine auch geschützt. Denn immerhin sitzen ja die Sounddesigner stundenlang an den Klängen und werde von den Autoherstellern gut bezahlt. Darf man den Klang zum Beispiel eines Nissans und deren Art der Veränderung beim Gas geben kopieren und auf einem Renault übertragen? Wann ist ein Klang dem anderen überhaupt zu ähnlich?

Vorstudien
Ich erinnere mich an Aktionen, die wir in der Öffentlichkeit bereits mit sich bewegenden Objekten gemacht haben, zum Beispiel innerhalb einiger Netzwerke Neue Musik. Verschiedene Tonabnehmer habe ich an zwanzig Fahrräder gebaut und Batterieboxen in die Fahrradkörbe montiert. Die Akteure hörten dann das Klicken der Speichen, welche einen Draht berührten, wenn sie geradeaus fuhren. In der Kurve quietschten die Räder durch ein am Gummirad angebrachten Fühler. Die Radfahrer waren gut zu hören, kein Fußgänger konnte sich etwa über plötzliches Auftauchen beschweren. Die Situation war grotesk, weil es natürlich eine immense Verfremdung ist, wenn das Rad plötzlich Geräusche von sich gibt. Ähnliche Inszenierungen gab es auch von anderen Kollegen. Ebenso sehe ich Parallelen zu Events, wo Autoscheiben herunter gedreht wurden, um Autoradios mit CD-Spielern in Aktion zu bringen.
Andere Beispiele wurden durch die Gruppe Atonor präsentiert. Die Musiker liefen mit von mir gebauten Fahrobjekten durch die Stadt Gent und verunsicherten die Leute mit Geräuschen und Klängen, die abhängig von Geschwindigkeit und Richtung sich änderten. Zu den Mozarttagen in Schwetzingen ließ ich Droschken bauen, die vom Spaziergänger geschoben werden konnten und Klaviernoten abspielten, Tempo und Lautstärke konnten dabei durch den Fahrstil geändert werden. Ein spezieller Tacho zeigte als Geschwindigkeit Begriffe wie Largo, Maestoso, Allegro, Presto usw. an. Wir stellten Verkehrsschilder mit Geschwindigkeitsbegrenzungen auf, Viertelnote mit Tempoangabe, so dass man an einer bestimmten Stelle nicht schneller als zum Beispiel Allegro fahren sollte.
Auf die Veränderung des Stadtklangbildes, das mit dem Aufkommen der Elektrofahrzeuge einhergehen wird, bin ich jedenfalls gespannt und vor allem auf die kreativen Reaktionen der Künstler. Aber es ist auch eine Vision, denn wer hat schon Lust an seinem Auto herumzubasteln?